Lange waren sie nicht auf dem Markt, die Bilderbücher, die ihre Leser:innen lustvoll vor absurdeste, komischste Entscheidungen stellen. In diesem Frühjahr sind mir gleich zwei davon, beide sind Novitäten, ins Auge gefallen.
Mutter und Vater dieses Sujets ist zweifellos John Burninghams “Would you rather like “, 1979 auf Deutsch unter dem Titel „Was ist dir lieber“ im Verlag Sauerländer erschienen. Das Buch ist vergriffen, aber in Bibliotheken natürlich noch zu finden – und hier nochmal eine Würdigung!
Vorhang auf für die Bilder, denn die spielen die Hauptrolle! Da ist dein Haus: sehr brav und ordentlich mit kleinem Auto in der Garage, Wäsche auf der Leine im Garten, und mit Hund an der Gartenpforte. Dann allerdings steht das Haus bis zur Fensterunterkante im Wasser, die Katze hat sich auf die Laterne gerettet, du schwimmst mit dem Hund auf dem umgedrehten Tisch, ein Paddel in der Hand. Dann steht das Haus ebenso tief im Schnee, du selbst auch und jemand, der Schnee schaufelt, vom Auto ist nur das Dach zu sehen. Im vierten Bild ein Urwald ums Haus, ein Elefant im Garten, ein Krokodil auf dem Gehsteig, überall Affen. Was ist dir lieber – im Wasser? Im Schnee? Im Urwald? Du fragst dich, wie die Katze auf die Laterne gelangt ist und ob dein Tisch schwimmen würde, wieso du im tiefsten Schnee keine Jacke trägst, und wo du eigentlich im Urwald geblieben bist, hat dich etwa das Krokodil …?
Die Leser:in ist das „du“, er/sie hat ein bildliches Alter Ego, ein Kind mit Wuschelkopf, blauer Latzhose und sehr gelbem Hemd. Dem Kind stoßen in Bild und Text Peinlichkeiten, ekligstes Essen, diverse Todesarten, Verfolgungen und Ängste zu. Du darfst aber auch absurden Quatsch machen, du könntest dich dafür entscheiden, mit dem Weihnachtsmann Geschenke zu verteilen, es sei denn, du wähltest lieber die Möglichkeit, zusammen mit einem alten Mann frech zu sein.
Ein Beispiel dafür, wie die Bilder einen eigenen Sinn machen könnten: sehr ekliges Essen wird „dir“ von einer streng wirkenden Person angeboten – nein, verabreicht. Du rutschst abwehrend immer weiter auf die Stuhlkante, und „du“ (die Leser:in) denkst womöglich nicht „Spinnenschnitzel“, „Schneckenknödel“, „Würmerbrei“ und „Schlangensaft“, sondern Spinat, Pilze, Haferbrei und Hustensaft!
Auch Jörg Mühle erfindet in „Kroko oder Krake – du musst dich entscheiden“ schaurig-schön-absurde Schein-Alternativen und überlässt dem „du“ (das im Bild verschiedene, divers gezeichnete Kinder sind) seine Assoziationen. Und da stockt der Leser:in manchmal der Atem: der Text fragt nur ‚wo hättest du lieber eine Panne‘, im Bild befindet sich ein Kind mit einem kaputten Raumschiff auf einem öden, menschenleeren Planeten, bzw. in einer Tauchkapsel in der Tiefsee, umgeben von furchterregenden, spitzzahnigen Fischungeheuern. Tja, da wird „lieber“ umgeblättert! Auch Jörg Mühles fragender Erzähler weiß natürlich, dass du und „du“ eine Erholungspause brauchen und auch mal eine wenn auch schwierige, aber doch mögliche Entscheidung angeboten werden muss.
Wer Bücher von Jörg Mühle kennt, ist mit dem Bildstil vertraut: flächig kolorierte Figuren und Landschaften mit innerfigürlichen zeichnerischen Elementen: bei den bedrohlichen Fischen, den Steinen usw., die dadurch körperlicher wirken. Comichaft klar umrandet sind Figuren, Gegenstände und Interieurs. Burminghams Szenerie ist manchmal ausgemalt, manchmal aber auch ganz frei gestellt und beengt, sehr zeichnerisch, zart aquarelliert mit einem in allen Bildern dominierendem gelb für das Hemd des Kindes. Im Vergleich wirkt die Idee, immer dasselbe du ins Bild zu setzen, überzeugender als die von Bild zu Bild wechselnden Figuren, es ist ja immer dieselbe Leser:in gemeint - der/die gerade das Buch anschaut.
Der 3. Titel: Juliane Pieper, „Such aus – mein großes wildes Buch der Entscheidungen“ dreht noch ein bisschen mehr auf! „Wilde“ Entscheidungen ist nicht übertrieben … Allerdings entpuppen sich die unmöglichen Alternativen einerseits als verrücktere, andererseits aber als harmlosere, manchmal auch in Ernsthaftigkeit und Spaß irgendwie nicht zusammen passende. Zum Beispiel: was möchtest du können: Löwen zähmen/Oma im Himmel besuchen. Oder: was möchtest du essen: von Gummibärchen bis Gehirnbrei. Dieses Buch variiert das Entscheidungsthema. Die Leserin kann eben aussuchen, soll sich gar nicht immer entscheiden müssen. Und es geht nicht um unmögliche Alternativen im Sinne von: jede Entscheidung ist schlimm oder gar das Ende. „Such aus“ lässt mehrere oder alle Alternativen zu – du kannst dem Gehirnbrei ganz aus dem Weg gehen.
Der Schriftteil ist als „Schriftbild“ in die Bilder integriert, das Auge der Leserin muss sich erst orientieren, denn die Frage- und Antwortmöglichkeiten sind mit Schwung ineinander verschlungen, sowohl formal als auch in der Farbigkeit. Auch für die Bilder gilt: „wild“ ist nicht übertrieben. „Such aus“ ist ein Buch mit Schau- und Spielwert. Die Möglichkeiten des wohligen, aber auch irgendwie echten Gruselns scheinen mir kleiner und wohl auch gar nicht so explizit gemeint.
Alle drei Bücher sind Familienbücher.